Dreimal ist Ostfriesenrecht

Wenn Menschen gefragt werden, wo ihre Heimat ist, dann gibt es unterschiedlichste Antworten. Der eine sagt: "Zuhause" (was irgendwie die selbe Frage aufwirft), der andere sagt wiederum "Da wo sich das WLAN automatisch verbindet" oder "wo das Essen nichts kostet!". Natürlich sind diese Antworten alle irgendwo wahr, aber doch finde ich, dass das nicht das ist was Heimat ausmacht. Wenn mich jemand fragen würde: "Was ist für dich Heimat?", würde die Antwort vermutlich etwas länger ausfallen. 

Die ostfriesische Teezeremonie ist für mich der Inbegriff von Heimat. Das Knistern des Kluntje (Kandiszucker) in der Teetasse, wenn der heiße Tee in die Tasse fließt, das Aufsteigen der Wulkjes (Wölkchen) nachdem man die Sahne eingegossen hat: das ist das, was das Teetrinken in Ostfriesland ist. Der Anfang der ostfriesischen Teekultur liegt im frühen 17. Jahrhundert, als Schiffe der niederländischen Flotte der East-India-Trading Company Tee nach Europa brachten. Bis etwa 1675 wurde der Tee jedoch lediglich als Medizin verabreicht. Im späten 18. Jahrhundert breitete sich der Teegenuss dann in ganz Ostfriesland aus. Unbeugsam wie wir Ostfriesen nun einmal sind, konnte auch das Scheitern des preusisch-asiatischen Handelsabkommens unseren Durst nach Tee nicht mehr aufhalten. Die zugegebenermaßen verlockende Idee von Friedrich II., mehr Bier zu brauen und dies anstelle des "Chinakrauts" zu trinken, stieß jedoch nicht auf Zustimmung. Im Gegenteil, man reagierte mit Schmuggel von Tee und dem heimlichen Teetrinken. Auch während der Kontinentalsperre von Napoleon, die Warenverkehr zwischen den Kontinenten unterbunden hatte, ließen wir Ostfriesen uns nicht beirren und schmuggelten munter weiter unseren Tee. Im zweiten Weltkrieg wurde Ostfriesland als "Teetrinker-Bezirk Weser-Ems" bezeichnet. Die Ration von 20g Tee pro Erwachsenem pro Monat sorgte für Unmut. Auch die Erhöhung auf 30g Tee sorgte nicht für Besserung. Um an ihren "Stoff" zu kommen, behalfen sich die Menschen mit Teetabletten aus Aromastoffen und Zucker. Nachdem der Krieg vorüber war, fingen die Ostfriesen an zu Hamstern, getrieben von der Angst ohne Tee da zu stehen. Man machte sich auf in das Ruhrgebiet um die Bergarbeiter um ihre extra Tee-Rationen zu bringen. Diese haben sie als Bergarbeiter-Sonderration bekommen. Die Tee-Rationen wurden gegen Speck, Butter, Eier oder andere Dinge getauscht. Hauptsache, es war genug Tee vorhanden. Aber es sollte noch bis 1953 dauern, bis die Teesteuer gesenkt wurde und der Tee wieder für jedermann in bezahlbar wurde und jeder so viel Tee trinken konnte, wie er wollte. 

Damit man wie in Ostfriesland Tee trinken kann, benötigt man folgende Dinge: 

  • losen Ostfriesentee + Beutel
  • Stövchen + Teelicht
  • Teekanne
  • Teetasse + Untertasse
  • Teelöffel
  • Kluntje 
  • Sahne (und nicht die fettarme!)

Der Echte Ostfriesentee ist eine Mischung, die sich nur so nennt, wenn sie auch wirklich aus Ostfriesland kommt. Wir haben hier drei große Teehandelshäuser, nämlich Bünting aus Leer, Thiele aus Emden und Behrends aus der Stadt Norden. Natürlich gibt es auch Teehäuser außerhalb von Ostfriesland, die ihren Tee als Ostfriesentee bewerben. Aber sind wir doch mal ehrlich: Menschen, die im Durchschnitt rund 300 Liter Tee pro Nase im Jahr trinken (rund elf mal mehr als der Rest von Deutschland) wissen wie ihr Tee schmecken muss. Unser Tee muss nämlich eins: immer gleich schmecken. Das ist der Grund, warum der Ostfriesentee eine Komposition aus bis zu 20 verschiedenen Teesorten ist. Die meisten davon sind Schwarzteesorten aus Assam, aber auch Ceylon und Afrika sowie Java-, Sumatra- und Darjeelingsorten finden ihren Weg in den Tee. Nachdem wir nun also unseren Tee in einen Teebeutel (pro Person und Tasse einen Teelöffel voll) gefüllt haben, wird er in einer Teekanne mit siedendem Wasser übergossen. Bei dem Wasser ist wichtig, dass es möglichst weich ist. Ich lebe glücklicherweise in dem Luxus, mit das beste Leitungswasser in Deutschland im Wasserhahn zu haben. Die Qualität des Wassers ist extrem wichtig wenn es um den Geschmack des Tees geht. Nicht umsonst nehmen Ostfriesen eine Milchkanne voll Leitungswasser mit in den Urlaub und wenn dieser verbraucht ist geht es zurück in die Heimat. Meine Eltern tranken und trinken immer noch im Urlaub in der Rhön die meiste Zeit Kaffee. Natürlich gibt es auch Tee im Urlaub, aber die besten Teebeutel nützen nichts wenn das Wasser nicht schmeckt. Nachdem nun der (vorzugsweise lose) Tee in der Teekanne mit siedendem Wasser übergossen wurde, bis die Blätter gerade so bedeckt sind, gibt man dem Tee man 4-5 Minuten Zeit zum ziehen. Dabei steht er auf einem Stövchen, beheizt von einem Teelicht. Länger sollte der Tee nicht ziehen, da die sonst beruhigende Wirkung in eine belebende Wirkung umschlägt. Während der Ziehzeit kann schon einmal der Kluntje (große Brocken Kandiszucker) in die Tasse gegeben werden. Die Teetasse steht auf einer passenden Untertasse, auf der auch der Teelöffel seinen Platz findet. Nach der Ziehzeit kann nun der Teebeutel entnommen und die Kanne mit heißem Wasser aufgefüllt werden. Und nun beginnt der Zauber. 

Sobald man den Tee eingießt hört man es knistern, gefolgt von einem leichten Plätschern. Das Knistern ist der der Kluntje, der durch den heißen Tee anfängt zu springen. Immer wenn ich das Knistern höre, muss ich an den Spruch "Blieet as 'n Kluntje int Tee" denken - "Glücklich wie ein Kluntje im Tee". Nachdem der Tee eingegossen wurde, folgt die Sahne. Die Sahne wird im besten Fall mit einem Sahnelöffel (noch eine ostfriesische Eigenkreation) in den Tee gegeben. Weil wir mit der Teestunde die Zeit anhalten möchten wird der Sahnelöffel von 16 Uhr ausgehend (ostfriesische Teezeit), entgegen dem Uhrzeigersinn, an den Rand gegossen. Das hat zur Folge, dass die schwere Sahne am Tee vorbei am Rand runterrutscht und erst in der Mitte wieder aufsteigt. So entstehen die schönen Wulkjes (Wölkchen). Wer nun glaubt, er darf zum Teelöffel greifen und beherzt umrühren: ja, kann man machen. Man kann aber auch einen Salto rückwärts ins Fettnäpfchen machen. Der Löffel dient bei einer Teetasse lediglich dazu, zu signalisieren das man keinen Tee mehr möchte. Der Tee wird nicht gerührt, damit man die drei verschiedenen Geschmäcker des Tees einzeln herausschmecken kann. Die milde Sahne, den herben Tee und zum Schluss den süßen Kluntje. Im idealen Fall wird der Tee in drei Schlücken getrunken, jeder Schluck ein anderer Geschmack. Wenn man dann genug Tee getrunken hat, kommt der Löffel zum Einsatz. Er wird in die Tasse gelegt und signalisiert: "Ick bünn kloar" (Ich bin fertig). Drei Tassen Tee sollten es aber schon mindestens sein, denn dreimal ist bekanntlich Ostfriesenrecht. Natürlich bin ich auch für den großen Becher Tee zu haben, den man auf die schnelle am PC oder bei der Arbeit trinkt. Aber die ostfriesische Teestunde, welche übrigens zum Weltkulturerbe ernannt wurde, sorgt mit ihrer besonderen Gemütlichkeit dafür das der Tee noch mal einen ticken besser schmeckt. Ich wünsche euch bei dieser Herzensangelegenheit viel Spaß beim Nachmachen. Bitte lasst die Teestunde nicht aussterben. 

 

Munter bleiben!

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Kommentare: 1
  • #1

    Alte Tante (Donnerstag, 14 Dezember 2017 21:51)

    Ich mag meinen Tee zwar nicht mit Sahne, obwohl ich eine waschechte Ostfriesin bin, aber die Gedamtaussage ist 100% zutreffend. Wo man Tee trinkt fühlt man sich zu Hause. Und wenn es auf einer Casa auf Ibiza ist